Geschichte

Über die Entstehung und Entwicklung des Arbeitgeberverbandes Lippe.

1919 Der “Lippische Fabrikantenverein” entsteht

Die Gründung des “Arbeitgeberverbandes” in Lippe - also einem Verband, dessen zentrale Aufgabe in Verhandlungen und Abschlüssen von Tarifverträgen liegt - erfolgte nach der staatlichen Anerkennung der sog. “Tarifautonomie*.

Der erste Schritt zur staatlichen Anerkennung einer Tarifautonomie erfolgte am 9. November 1918 als in Deutschland die Republik ausgerufen worden war. Auch Lippe wandelte sich fast zeitgleich vom Fürstentum zu einem sog. “Freistaat” (= Republik).

21 Arbeitgeberverbände und 7 Gewerkschaften schlossen bereits am 15. November 1918 in Berlin ein zentrales Abkommen, in dem sie sich gegenseitig als Verhandlungspartner anerkannten. Erstmals vereinbarten sie den Abschluss von Kollektivvereinbarungen und die Einrichtung von Schlichtungsstellen. Diese Vereinbarung wurde im Deutschen Reichsanzeiger Nr. 213 vom 18. November 1918 veröffentlicht. Dies war der Beginn einer staatlich anerkannten Tarifautonomie.

Die Tarifautonomie fand später Eingang in die Weimarer Reichsverfassung (WRV), die am 14. August 1919 in Kraft trat. 

Stichwort Tarifautonomie

Die Tarifautonomie beschreibt das verbriefte Recht für Arbeitgeber und Gewerkschaften, die Arbeitsbedingungen in der Fläche und auch für einzelne Betriebe selbständig, in eigener Verantwortung und ohne staatliche Einflussnahme zu regeln. Dieses Recht war lange Zeit nicht selbstverständlich.

Es hat letztlich seinen Ursprung in den bürgerlichen Freiheitsrechten, wie sie sich seit der Französischen Revolution 1789 Stück für Stück europaweit durchgesetzt hatten.

Ohne eine freie Wirtschaftsordnung versehen mit dem Recht Gewerbe zu betreiben und Vereinigungen (Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften) gründen zu dürfen, wäre die Tarifautonomie undenkbar gewesen.

Die Vereinigungsfreiheit zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Alle Abreden und Maßnahmen, welche diese Freiheit einzuschränken oder zu behindern suchen, sind rechtswidrig.

- Weimarer Reichsverfassung, Art. 159 Abs. 1 WRV

Vor diesem Hintergrund ist die Gründung des Arbeitgeberverbandes in Lippe zu sehen. Die industriellen, gewerblichen Arbeitgeber wollten sich für die zu erwartenden Verhandlungen mit den Gewerkschaften zusammenschließen. Mit der Gründung des „Lippischen Fabrikantenvereins“ im Januar 1919 beginnt offiziell die Geschichte der Arbeitgeberverbände in Lippe.

Diese verläuft - zwangsweise unterbrochen in der Zeit von 1933 - 1945 - bis zum heutigen AGV Lippe durchgehend. Zum 1. Vorsitzenden des neuen Fabrikantenvereins wurde 1919 Generaldirektor Leberecht Hoffmann von der Firma Hoffmann‘s Stärke, Bad Salzuflen, gewählt. Einzelheiten sind in der Broschüre zum 100. Gründungstag des Verbandes beschrieben, die zum Download bereitsteht.

1. Vorsitzender 1919 Leberecht Hoffmann

Generaldirektor der Firma Hoffmann‘s Stärke, Bad Salzuflen

Video und Broschüre zum 100. Gründungstag 100 Jahre Arbeitgeberverband Lippe

Lippe im Gründungsjahr 1919 Politische und wirtschaftliche Situation

Als am 9. November 1918  in Berlin die Republik („Weimarer Republik“) ausgerufen worden war, endete auch in Lippe die konstitutionelle Herrschaft durch den Adel. Dem gebildeten sog. „Volksrat“ gehörten neben dem sozialdemokratisch geführten Arbeiterrat, dem Soldatenrat auch bürgerlich liberale Politiker an, was eine Besonderheit in Lippe darstellte. Die sog. „vollziehende Gewalt“ ging am 12. November 1918 auf den Volksrat über. Fürst Leopold entsagte dem Thron. Am 14. November 1918 kam der Landtag zusammen. Nur ein kleiner, fürstentreuer Teil der aus dem 1. Weltkrieg zurückgekehrten Soldaten unternahm am 6. Dezember 2018 in Detmold einen sehr zaghaften, erfolglosen Versuch die Geschichte mit Waffengewalt umzukehren. Sie wurden später aus dem Dienst entlassen.

Die Industrialisierung in Lippe beginnt in der Mitte des 19. Jahrhunderts, wobei der Zeitpunkt des Übergangs von der Herstellung kleiner Losgrößen - wie im Handwerk üblich - zur kostengünstigen Massenproduktion fließend war. Tischler aus Blomberg begannen damit, über den örtlichen Bedarf hinaus zu produzieren – Zielgruppe waren zunächst Abnehmer im prosperierenden Ruhrgebiet, die an preiswerten Möbeln interessiert waren.

Die Industrie insgesamt entwickelte sich in Lippe aber nur zögerlich. Die neue Produktionsform war anfangs in Lippe nicht sonderlich beliebt. Ansiedlungen von Fabriken wurden durch die Regierung in  Lippe kaum unterstützt. Auch die lippische Bevölkerung betrachtete die neuen Betriebe misstrauisch. Trotz genügender Arbeitskräfte in Lippe war es schwierig, Beschäftigte für die neuen Unternehmen zu finden. Investitionen in die Infrastruktur gab es nur unzureichend. Energie stand nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung. Immerhin  existierte relativ früh eine Eisenbahnverbindung von Lippe  ins Ruhrgebiet zum Transport von Rohstoffen, die in Lippe kaum vorhanden waren.

Erst als die lippische Regierung erkannte, dass sich über die Gewerbesteuer beträchtliche Einnahmen erzielen ließen, änderte sich die Zurückhaltung. Im Zuge der weiteren Entwicklung gründeten erste Kreditinstitute Niederlassungen in Lippe. Viele heute selbstverständliche Einrichtungen sind maßgeblich auf die lippische Industrialisierung zurückführen.

Die neuen Industriebetriebe hatten sich überwiegend aus Handwerksbetrieben entwickelt, was auch die hohe Dichte der familiengeführten Unternehmen bis heute erklärt. Auswärtige Firmengründer gab es nur vereinzelt. 

Lippe im Gründungsjahr 1919 Zahlen & Fakten

Die exakte Zahl von Industriebetrieben und bei ihnen Beschäftigte lässt sich für das Jahr 1919 nur schätzen, da Statistiken nur für die Jahre 1913 und 1923 vorliegen. Die Zahl der Industriebetriebe in Lippe hatte sich von 1913 bis 1923 von 648 auf 1.153 erhöht. Die Arbeiterzahl stieg im gleichen Zeitraum von 8.108 auf 12.976. Allerdings arbeiteten 7.657 Arbeiter 1923 in 59 Unternehmen in denen  mehr als 50 Arbeitern beschäftigt, also im engeren Sinne überhaupt der Industrie zuzurechnen waren. Damit arbeiteten knapp 60 % der Arbeiter in der Industrie. Bildete man für das Jahr 1919 das Mittel aus diesen Zahlen so würde sich in etwa folgendes Bild ergeben, dass der Wirklichkeit ziemlich nahe kommen dürfte:

  • Zahl der „echten“ Industriebetriebe: ca. 45
  • Zahl der dort Beschäftigten: ca. 6.000

Das war nicht viel. Denn 1919 wohnten in Lippe ca. 154.000 Menschen, von denen schon etwa 80.000 haupt- oder nebenberuflich in der Landwirtschaft Lohn und Brot fanden. 13.500 Menschen waren Wanderarbeiter (meist Ziegler), 6.000 Menschen lebten vom Handwerk. Etwa 1.000 waren Beamte oder beim Land Lippe angestellt. Die Industrie war also nicht unbedeutend, weil in ihr viel Potential steckte, aber noch kein großer Arbeitgeber in Lippe. Die meisten Betriebe gehörten zur Branche der Holzindustrie (Möbelfabriken und Sägewerke), was auf den Holzreichtum zurückzuführen war, oder es handelte sich um Textilfabriken und Ziegeleien.

Zum Vergleich: in 2017 arbeiteten in 115 Industriebetrieben über 25.000 Menschen. Die Industrie ist heute größter Arbeitgeber in Lippe.